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Lernen mit Hirn

Warum Beziehung die Basis für Lernen ist

Die Erkenntnisse der Neurobiologie legen ein grundsätzliches Umdenken in unserem Bildungssystem nahe. Zentral ist dabei die Erkenntnis, dass erfolgreiches, intrinsisch motiviertes Lernen auf der Basis von gelingenden Beziehungen stattfindet.

In den letzten 30 Jahren hat die Neurobiologie, umgangssprachlich «Hirnforschung» einige bahnbrechende Erkenntnisse zu Tage gebracht, welche für alle Lebensbereiche, aber insbesondere für unser Schulsystem essenziell sind. Vereinfacht erklärt schält sie, ausgehend von Experimenten und der Anatomie des Gehirns, ein paar wenige Grundbedürfnisse heraus, welche alle Menschen gemeinsam haben: Sicherheit, Verbundenheit und Autonomie. Dies entspricht im weitesten Sinne auch der Maslow’schen Bedürfnispyramide, welche bereits einiges älter ist.

Die Hierarchie der Bedürfnisse

Wichtig dabei zu wissen – und genauer betrachtet logisch –  ist es, dass die oben genannten Bedürfnisse einer Hierarchie unterliegen, oder besser gesagt eine klare Prioritätenreihenfolge einnehmen. Wenn ein Mensch um sein Überleben kämpfen muss, so setzt er sämtliche ihm verfügbaren Ressourcen dafür ein. Wenn aber sein Überleben gesichert ist, dann fokussiert er sich mehr und mehr auf den sozialen Aspekt seiner Umgebung, auf Beziehungen und die Gemeinschaft. Und wenn er sich in der Gemeinschaft aufgehoben fühlt, dann beginnt der Mensch zu handeln, wird unternehmenslustig und verfolgt Projekte. Dies lässt sich bei Kindern vortrefflich beobachten: Sobald sie sich in einer Gruppe wohl fühlen, beginnen sie zu spielen und die Welt zu erforschen.

Die Hierarchie im Gehirn

Die oben beschriebene Hierarchie lässt sich auf der Ebene des Gehirns klar zuordnen. Während des Stammhirn bei der ganzen Fauna vorhanden und für das Überleben zuständig ist, ist die Funktion des limbischen Systems das Fühlen und findet sich bei Säugetieren, Vögeln und Reptilien. Der Frontallappen ist unter anderem für das Problemlösen und Lernen zuständig und findet sich in grosser Ausprägung beim Menschen (30%). Nur wenige andere Säugetiere haben einen grossen Frontallappen, wobei dieser weit unter der Grösse jenes des Menschen ist. Ausschliesslich beim Menschen zu finden ist der präfrontale Kortex, welcher als Sitz des Bewusstseins gilt und entscheidend ist für das Lernen. Er ist nämlich für die Fähigkeit zur Reflexion zuständig und ermöglicht Veränderung.

Sicherheit im Schulalltag

Das erste Bedürfnis eines Menschen ist Sicherheit und Orientierung. Durch eine klare Wochen- und Tagesstruktur, gemeinsam definierte Regeln und individuelle Ziele kann ein solcher Rahmen geschaffen werden. Genauso wichtig ist die emotionale Sicherheit: Lernbegleiter sollten im Rahmen ihrer Rolle ein hohes Mass an Präsenz, Empathie und Konfliktfähigkeit aufbringen können. Bedingungslose Akzeptanz des Schülers und all seiner Gefühle sind hierzu der wichtigste Schlüssel. Zugegebenermassen eine Herausforderung, welche eine hohes Mass an Selbstbewusstsein des Lernbegleiters erfordert.

Zugehörigkeit im Schulalltag

Wir sind soziale Wesen und haben das Bedürfnis, gesehen, akzeptiert und anerkannt zu werden. Deshalb müssen die Beziehungen und die Gemeinschaft das Fundament einer Schule bilden und in diesen Bereich soll genügend Zeit und Energie investiert werden. Erfahrungen zeigen, dass Kinder und Jugendliche über sich hinauswachsen, wenn sie sich in der Gruppe dazugehörig und akzeptiert fühlen.

Autonomie im Schulalltag

Menschen, die sich sicher und dazugehörig fühlen, wollen die Welt gestalten und selbst Entscheidungen fällen. Um dies zu tun bzw. üben zu können, brauchen sie dementsprechende Freiheiten und Herausforderungen sowie die Möglichkeit, ihr Umfeld mitzugestalten. Die Konsequenz ist, dass Kinder und Jugendliche nicht nur den Inhalt, sondern auch die Ziele und Strukturen ihrer Lernumgebung beeinflussen können müssen.

Reflexion

Das Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, Muster zu erkennen und auf andere Bereiche der Welt zu übertragen, spielt sich im präfrontalen Kortex ab und wird erst mit der zunehmenden Entwicklung gebildet. Gleichzeitig ist es ein fundamentaler Aspekt für das (effektive) Lernen. Die Fähigkeit zur Reflexion nimmt somit einen wichtigen Stellenwert ein und kann bereits sehr früh, beispielsweise in der Mathematik entdeckt und gefördert werden.

Umsetzung mit Hirn

Für die Gestaltung einer Schule (und sämtlicher anderer Organisationen) lässt sich schlussfolgern, dass äussere und emotionale Sicherheit genauso wie gesunde Beziehungen und Gemeinschaft notwendige Bedingungen sind, dass ein effektives (und intrinsisches) Lernen möglich ist. Können wir eine solche Umgebung nicht ermöglichen, bleibt nur der (klassische) Weg über Belohnung und Strafe, sprich der Ansatz über das Stammhirn, die „Überlebenszentrale“ des Menschen, um einen Lernprozess zu gestalten. Dies benötigt jedoch ständig ein grosses Mass an Energie.

Wandel in der Bildung?

Die erläuterten Erkenntnisse stossen bei vielen Menschen im Bildungssystem auf offene Ohren und wir freuen uns, schrittweise Veränderungen in der Pädagogik beobachten zu können. Als Privatschule haben wir die Möglichkeit, die Schlussfolgerungen aus der Neurobiologie zeitnaher und konsequenter im Alltag umzusetzen. Im Wissen, dass dies Neuland ist für uns als Gesellschaft und wir täglich dazulernen.

Autor: Patrick Pierer

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